Der Ölpreis hat sich während der vergangenen Monate offenbar von einem für Anleger eher langweiligen Rohstoff zum Zünglein an der Waage der Weltwirtschaft entwickelt. Inzwischen mehren sich die Stimmen, die im hohen Ölpreis eine Gefahr für den Aufschwung sehen. Dabei macht es keinen Unterschied mehr, ob das Öl Brent heißt und aus der Nordsee kommt oder ob es sich um Rohöl der US-Sorte WTI handelt: Beide Ölpreise nehmen mittlerweile die Preis-Rekorde von 2008 ins Visier. Unter einigen Volkswirten sorgt das bereits für Alarmstimmung: So warnt Thilo Heidrich von der Postbank ebenso vor steigenden Teuerungsraten als Folge der hohen Energiepreise wie auch Lorenzo Bini-Smaghi, Mitglied des Rats der Europäischen Zentralbank.
Die jüngsten Ereignisse in Libyen haben dem Ölpreis erneut einen Schub gegeben. Inzwischen gehen Beobachter davon aus, dass die meisten libyschen Ölquellen inzwischen in den Hand der Revolution sind. Brennende Ölquellen wie während des ersten Golfkriegs Anfang der 1990er Jahre drohen also nicht. Zwar exportiert Libyen wegen der Unruhen aktuell kein Öl, doch kann das schwindende Angebot scheinbar von anderen Mitgliedstaaten des Erdöl-Förderkartells OPEC kompensiert werden. So geht Ifo-Chef Hans-Werner Sinn davon aus, dass die derzeitigen Lieferausfälle nicht zu einer tatsächlichen Ölknappheit führen. Ein Blick auf den Chart zeigt wahrlich anderes. Vergleiche zum Rekord-Anstieg im Jahr 2008 werden wach.
Die Jasmin-Revolution hat den Ölpreis erst entscheidend beschleunigt
Tatsächlich überschlagen sich wie schon 2008 Analysten und Marktbeobachter mit ambitionierten Kurszielen. Ölinvestor Thomas Boone Pickens glaubt, dass der Ölpreis in den Bereich von 150 US-Dollar steigen kann. Noch mutiger sind die Analysten von Nomura: Ein Barrel könnte als Folge der Libyen-Krise bis zu 220 US-Dollar kosten, unken Vertreter der japanischen Großbank. Ganz ohne Zahlen kommt Aubrey McClendon, CEO des Gasproduzenten Chesaspeake Energy aus: Der Manager glaubt, der Ölpreis könne in den nächsten Jahren hoch bleiben, „möglicherweise sogar erschreckend hoch“, so der Manager vielsagend.
Anleger können mit diesen Aussagen wenig anfangen. Einzig der Vergleich zu 2008 erinnert daran, dass jedem deutlichen Anstieg auch ein drastischer Kurseinbruch folgt. Während die Ölblase 2008 ausschließlich der hohen Liquidität im Markt geschuldet war, treibt heute der politische Umbruch in einer der wichtigsten Förderregionen für Rohöl die Preise. Diese besondere politische Situation schürt derzeit eine Menge Unruhe und hat den Preisanstieg bei Rohöl erst entscheidend beschleunigt.
Gefährlich wird’s erst, wenn Öl zum neuen Gold wird
Sollte in Libyen wieder Ruhe einkehren, sollte daher auch die Preisexplosion beim Ölpreis erst einmal beendet sein. Unabhängig vom Ausgang der Revolution kann man davon ausgehen, dass Machthaber jeglicher politischen Couleur ein Interesse daran haben werden, die Ölproduktion fortzusetzen. Gerade ein wirtschaftlich gebeutelter Staat wie Libyen ist auf diese Einahmequelle angewiesen – sei es, um demokratische Reformen einzuleiten oder um die eigene Macht zu sichern.
Damit erscheint auch die Frage nach den wirtschaftlichen Auswirkungen steigender Ölpreise auf die westliche Welt beantwortet. Ein kurzer Ölpreisschock als Folge einer politischen Krise würgt keinen Aufschwung ab. Hinzu kommt, dass die Industrienationen spätestens nach der Kursexplosion bei Rohöl im Jahr 2008 ihre Abhängigkeit von „Schwarzen Gold“ weiter reduziert haben. Richtig bedenklich werden die hohen Ölpreise erst, wenn Brent und Co. ähnlich wie Gold während der vergangenen Jahre die Funktion einer Ersatzwährung einnehmen und stetig und weitgehend unabhängig von der Wirtschaftslage steigen. Erst wenn der Schmierstoff der Weltwirtschaft als sicherer Hafen zweckentfremdet wird, droht für die Weltwirtschaft ernsthaft Gefahr.